1870, Briefe 55–117
105. An Friedrich Ritschl in Leipzig
Basel Sonnabend 29 Oct. 70.
Verehrtester Herr Geheimrath,
leider waren die Correkturbogen nicht mehr in meinen Händen; ich hatte sie bei meiner Abreise in Naumburg zurückgelassen. Sofort habe ich dahin geschrieben — mit welchem Erfolg, weiß ich nicht. Inzwischen habe ich das Certamen noch einmal durchgesehn; was vielleicht noch hinzuzufügen wäre, wenn dazu noch Zeit ist — will ich auf der letzten Seite des Briefes notieren.
Die Correktur Rohdes ist mir an einigen Stellen besonders merkwürdig, wo er bei Citaten Worte streicht oder auch das Citat für falsch erklärt; nachträgliches Nachschlagen hat mich belehrt, daß ich von Anfang an das Rechte hatte. — Aber wie die Sache ohne Ihre Hülfe zu Stande gekommen wäre, sehe ich gar nicht ab. —
Hier haben wir Examinationsnöthe am Pädagogium. — Die politische Atmosphäre ist geradezu scheußlich, es giebt Leute, die offen ihren Enthusiasmus für die Verrätherei von Laon bekunden. Auch mit ruhigen und im Ganzen deutschgesinnten Baselern kann man sich nicht mehr verständigen. Der Deutschenhaß ist hier instinktiv und die Lust an den französischen Siegesberichten groß. Heute allgemeine Trauer wegen Metz. —
Mein Befinden ist immer noch nicht zu rühmen. Die Ruhr verdirbt auf lange hinaus die Eingeweide. Ich stecke bis über den Kopf in metrischen Fragen, der Winter wird wohl dabei draufgehen.
Sich Ihnen getreulich anempfehlend
Ihr ergebenster
Friedrich Nietzsche.