1868, Briefe 559–606
597a. An W.G. Pluygers, Bibliothekar, Universtitätsbibliothek Leiden
<30. Oktober 1868>
Hochverehrter Herr,
zunächst bin ich beauftragt, Ihnen die Grüße meines ausgezeichneten Lehrers und Freundes Ritschl in Leipzig zu überbringen: der Sie zugleich angelegentlich ersucht, meinem Anliegen, das ich Ihnen vorzutragen mir erlauben werde, ein geneigtes Ohr zu schenken.
In Ihrer Bibliothek findet sich auch (nach dem Catal. bibl. publ. Lugd. codd. Voss an. p. 396, 18) eine Abschrift des Kleinen Tractats, der unter dem Titel ,certamen Hesiodi et Homeri‘ bekannt ist. Ich habe Grund zu vermuthen, daß diese Abschrift dieselbe ist, welche Henricus Stephanus, der erste Herausgeber des ,certamen' aus dem einzigen codex, der das ,certamen‘ enthält (cod. Laurent, plut. 56 cod. i.) im Jahre 1553 zu Florenz gemacht hat. Dies sagt sogar ausdrücklich Valentin Rose in der neuen Ausgabe der Anacreontea p. IV und XIII.
Da ich nun damit beschäftigt bin, das ,certamen’ neu herauszugeben, mit Hülfe einer Collation des bezeichneten Laurentianus, so wäre mir von hohem Werte, jenen Codex Vossianus selbst einsehen zu können. Für meine Zuverlässigkeit und Sorgsamkeit leistet Ritschl jede Art von Bürgschaft: so daß Sie wohl es wagen dürfen, jene Handschrift auf ganz kurze Zeit meinen Händen anzuvertrauen.
Zugleich erlaube ich mir, Ihnen den ersten Theil meiner Abhandlung über die Quellen des Laertius Diogenes zu übersenden: mit dem Wunsche, Ihnen damit einen Ausdruck meiner besonderen Hochachtung gegeben zu haben.
Dr. Nietzsche
Leipzig, Lessingstraße 22, 2 Treppen.